Himmelszeichen und Kanzelworte

Die Kleine Eiszeit und der Aberglaube

Chronik"Die Kleine Eiszeit begann mit einer abrupten Abkühlung der Sommer im Zeitraum 1275-1300. Die Temperaturabnahme war verbunden mit erhöhten Niederschlägen und einem Gletscherwachstum in den höheren Breiten und größeren Höhen.

Von 1430-1455 intensivierte sich der Kälteeinbruch weiter und die Temperaturen in ganz Europa gingen zunehmend zurück.

 

Zu dieser Zeit begannen der Frühling später und der Winter früher, sodass die Vegetationsphase um etwa 14 Tage verkürzt war. Bis in das 17. Jahrhundert hinein waren die Temperaturen sehr niedrig, und auch auf der Südhemisphäre wurde es mit Ausnahme der Antarktis kälter, sodass dieses Jahrhundert als das kälteste der letzten 2000 Jahre gilt.

 

In Europa lagen die Temperaturen im Winter besonders deutlich unter den Wintertemperaturen der Gegenwart, in Osteuropa sogar um -8 °C, in Mitteleuropa um -6 °C. In ganz Europa aber führten die neuen Umweltbedingungen zu schlechteren Ernten und  zu Hungersnöten.

Sie trugen zudem sicherlich auch zur Verschlechterung der Gesundheitsbedingungen bei und zu der verheerenden Wirkung der Pest." (Dieter Kasang)

 

In der abgebildeten "Chronica" von 1660 (Johann Weyrich Rößlin, Stuttgart, 1660) (1)  wird uns eine genaue Beschreibung des Wetters mit seinen Begleiterscheinungen über einen Zeitraum von ca. 250 Jahren überliefert.

Diese Chronik ist vor allem aus der Sicht eines "Weinbauern" geschrieben worden. Aber es werden nicht nur die Auswirkungen auf die Weinernte, den Preis und die Qualität des jährlichen Weines dargestellt. Darüber hinaus erfahren wir auch von auffälligen Himmelserscheinungen, die sich der Berichterstatter und seine Zeitgenossen nicht erklären konnten. Auch die sonstigen besonderen Vorkommnisse (meist Unglücksfälle) der beschriebenen Jahre werden aufgelistet.

 

Hier werden die Jahre von 1543 bis 1638 ausgewählt, weil es danach eine kurze Stabilität des Wetters gab. Ich versuche mit meiner Darstellung die Dichte der "Notjahre" sichtbar zu machen. Die Zahlen in Klammern summieren die Schadensjahre des gewählten Zeitraumes.

Natürlich muss dabei berücksichtigt werden, dass sich in manchen Jahren die Wetterphänomene überschneiden und dass die Kriegsfolgen ab 1618 nicht hinzugezogen wurden.

 

Die Reaktionen von den Kanzeln auf Wetterphänomene und "Himmelszeichen" verdeutlichen im besonderen Maße den "Aberglauben" dieser Zeit. Sie legitimieren und verstärken den vorhandenen Hexenwahn. Dazu weiter unten mehr.

 

1618_Komet1680

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wetterdaten (67):

a) Hagelschäden (17): 1562, 1571, 1597, 1600, 1607, 1609, 1610, 1612, 1613, 1615, 1616, 1620, 1621, 1623, 1624, 1627, 1633
b) Zu kalt und nass (32):

1549, 1557, 1559, 1560, 1564, 1566, 1568, 1569, 1570, 1572, 1573, 1576, 1577, 1581, 1582, 1587, 1589, 1590, 1592, 1594, 1599, 1601, 1602, 1603, 1605, 1611, 1612, 1615, 1621, 1624, 1626, 1635

 

   
c) Zu viel Schnee (12):  1563, 1586, 1593, 1595, 1598, 1606, 1608, 1614, 1616, 1619, 1627, 1632
   
d) Unwetter,  Blitzschäden, Brände d. Wetter (4):  1590, 1611, 1613, 1625, 1627
   
e) Hochwasser(2):     1615, 1620

Heidelberg

 

 

Himmelsphänomene (12):
Asteroiden - Feuer vom Himmel (2): 1523, 1567
Kometen (4): 1543, 1577, 1580 (50 Tage), 1618
Nordlichter(4):  1542, 1561, 1574, 1583
Drei Sonnen: 1620    (HALO)
Blutregen:   1623    (Saharastaub)

 

Besondere Unglücke (14):  
Siamesische Zwillinge (in Württemberg): 1542

Pestjahre (4): 

1565-1567, 1571
Maikäferplage 1567 
Großbrand Stuttgart, 74 Häuser: 1574
Großbrand Sulz a. Neckar, 112 Häuser: 1581
Großbrand in Schiltach (26.8.) 1590
Mäuseplage:  1591
Futtermangel:    1604
Blutquelle in Beilstein :   1583
Erdbeben:  1601, 1603

 

 

Als normale Jahre werden genannt (12):  

1575, 1583-1585, 1588, 1596, 1628, 1630, 1631, 1634, 1636, 1638 

 

 

Nach dem Chronisten verblieben also nur noch 12 Jahre von ca. 100, die er als "normale", bzw. "erwartbare" Jahre beschreibt, im Gegensatz dazu vermeldet er 93 negative Ereignisse (Phänomene) in den anderen Jahren.Brenndendes Feuer

Leider ist nicht vermerkt, welches Schicksal die siamesischen Zwillingen von 1542 erlitten haben.

Besonders hervorheben muss man den Kometen "C/1577 V1" der um den Jahreswechsel 1577/1578 auch am Tage mit dem bloßen Auge gesehen werden konnte. Er wird aufgrund seiner außerordentlichen Helligkeit zu den „Großen Kometen“ gezählt. Er war ein besonderes Studienobjekt von Tycho Brahe.

 

Auch der Komet "C/1618 W1" konnte in den Jahren 1618 und 1619 mit dem bloßen Auge gesehen werden. Er wird aufgrund seiner außerordentlichen Helligkeit und seines bis zu 90° langen Schweifs auch zu den „Großen Kometen“ gezählt.(2)

 

Auf manche Ereignisse folgten prompt Schriften zur Ermahnung aller zum "christlichen, bußfertigen Leben" um dem Zorn Gottes zu entgehen. Hier sind links und rechts solche Reaktionen auf die Jahre 1572, 1574 und 1618 abgebildet.

Die Kometen werden darin als Zeichen für Tod, Veränderungen und bevorstehenden Krieg gedeutet.

 

Das starke Erdbeben im Jahre 1601 ging von  Unterwalden (nahe der Stadt Luzern) aus. Es wird auf Magnitude 5.8 geschätzt und ist damit eines der stärksten Erdbeben in der Geschichte der Schweiz. Es verursachte schwere Schäden und Erdrutsche. Auch im Raum Konstanz kam es zu Gebäudeschäden. Es war auch in Süddeutschland zu spüren und hatte wahrscheinlich kleinere Nachbeben zur Folge. Sattler beschreibt zusätzlich ein Beben vom 10. September 1603, bei dem der "Neue Bau" in Stuttgart, begonnen 1599, wieder einstürzte.(3) Comet_1618

 

Natürlich konnte man sich damals einen "Blutregen" (1623 - Niederschlag mit Saharastaub vermengt) nicht erklären. Genauso wenig das Entstehen von Blutwasser (1583 - in Beilstein), das entweder durch Ausschwemmungen im roten (Heilbronner) Sandstein oder durch Mikroalgen der Art "Haematococcus pluvialis"(4) entstanden sein muss. Diese Mikroalgen bilden sich in ausgetrockneten Gewässern und werden als Staub mit dem Wind verweht, um irgendwo anders mit dem Regen wieder auf dem Boden zu landen. Dabei traut man ihnen auch längere Reisen zu. Hexenpredigten

 

Allein schon der große Brand in Stuttgart (1574), dem 74 Häuser zum Opfer fielen, löste die damals gängige Reaktion aus, dass man nämlich eine "Hexe" als Verursacherin suchte, natürlich auch  fand und verbrannte.

Ähnliches ereignete sich in Schiltach 1590, das 1533 schon einmal durch ein Feuer total zerstört worden war. Lesenswertes dazu findet man bei Hans Harter: "Der Teufel von Schiltach" - mit zahlreichen Quellenangaben - hier im Internet abrufbar: (7)

 

Diesem Vorgehen boten auch die Kirchen beider Konfessionen keinen Einhalt. Im Gegenteil: Zahlreiche Predigten dieser Zeit bezeugen, dass der Hexenwahn auch von den Kanzeln herab legitimiert wurde. Überall lauerte der "Böse". Dazu findet man zahlreiche Quellen. Eine sei hier dargestellt:

In der rechts  stehenden Sammlung von M. Bernado Waldschmidt, Evangelischer Prediger aus dem Jahr 1660 sind nicht weniger als 28 Predigten zu Thema "Hexen und Gespenster" vereint. Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen aus der Zeit um 1600.

Allen Predigten haben eine Gemeinsamkeit: Sie liefern mit Berufung auf Texte aus dem Alten Testament zahlreiche Begründungen dafür, warum "Hexen" und alle anderen "Unholde" getötet, meist verbrannt werden müssen. Nur dieses Vorgehen wird als "die gerechte Strafe" für Hexen angesehen. Anders kann dem Wirken des Teufels nicht begegnet werden.

So erhält der Begriff der "Ausrottung" in diesen Zeiten eine Legitimation durch die "Religion" und dieses Denken wirkte noch jahrhundertelang nach - bis zum Holocaust.

 

In der Regel berufen sich die "Seelsorger" unter anderem auf das 2. Buch Mose, XXII, Vers 18 und zitieren: "Eine Hexe sollst du nicht leben lassen"!

Der Streit, ob Gott oder der Teufel für die Verheerungen durch das Wetter verantwortlich sind, wird durch die "Verantwortlichkeit der Hexen" eindeutig für den Teufel entschieden.

 

Die Gegner des Hexenglaubens fochten einen jahrhundertelangen Kampf, um eine Wende im Gedankengut des Volkes zu erreichen.

 

Einer der ersten von ihnen war Johann Weyer (1515-1585), der Leibarzt des Herzogs Wilhelm III. von Jülich-Kleve-Berg. Weyer war ein Rufer im Streite gegen Aberglauben, Grausamkeit und unaufhörliche Rechtsmorde. Seine 1563 erstmals gedruckte Dämonologie "De praestigiis daemonum" („Von den Blendwerken der Dämonen“) wurde zum Grundlagenwerk für alle Gegner der Hexenprozesse. Weyer war auch einer der ersten, die sich gegen den Hexenhammer wandten. Näheres findet man bei Wikipedia und hier:(5)

Als früher Kämpfer gegen Hexenwahn und Folter muss auch Anton Praetorius (1560-1613), badischer Pfarrer in Laudenbach an der Bergstraße, genannt werden. Er hat zahlreiche Schriften gegen Folter und Hexenprozesse verfasst. Dabei schrieb er bis 1602 unter dem Pseudonym seines Sohnes "Johannes Scultetus", erst danach traute er sich, seinen wahren Namen zu benutzen.(6)

 

Auch die Bewertung der Himmelsereignisse änderte sich nur sehr langsam.

Ausgehend von Johannes Keplers Mentor, Michael Maestlin (1550-1631), Keppler selbst (1571-1630 ), Tycho Brahe(1546-1601), Galileo Galilei(1564-1641) und Isaac Newton (1642-1726) setzte sich allmählich eine neue Sichtweise zu allen Erscheinungen am Himmel durch.

Sie alle entwickelten die Erkenntnisse von Nikolaus Kopernikus (1473-1543) und sein heliozentrisches Weltbild weiter, dessen Werk noch 1616 von der Kirche verboten wurde. Kopernikus selbst musste als gebrandmarkter "Gotteslästerer" um sein Leben fürchten, denn die Kirche wollte weiterhin das Monopol auf die Deutung von "Gottes Wille und Werk" behalten. Das Verbot von 1616 wurde erst 1835 zurückgenommen.

Andere hatten nicht soviel Glück.

Giordano Bruno (1548-1600), der sich wohl als erster ein "grenzenloses Universum" vorstellte und der Gott in allen Dingen der Natur wähnte (diese Vorstellung wird später "Pantheismus" genannt), wurde für dieses Gedankengut im Jahr 1600 als "Ketzer" von der Kirche hingerichtet.

 


Letzte Änderung: 08.05.2025

Quellen:

(1)
Narcisso Schwelin: Chronik mit einer 7-seitigen Beschreibung der Stadt Stuttgart, sonst mit dem Schwerpunkt der Wirtschaft und Weinbau und ab S. 546 die Beschreibung der köstlichen Suauerbronnen im Lande :Deinacher Saurbrunn, Wunder-Brunn zu Boll, Göppinger Saurbrunn, Ebenhauser-Sauerbrunn, Wild-Bad, Zeller- Bad, Sultz-Waser bey Cantstatt, Bläsi-Bad bei Tübingen.

Internetadresse:
https://books.google.de/books?id=u34AAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false

(2)

Wikipedia

 

(3)

https://books.google.de/books/about/Geschichte_des_herzogthums_W%C3%BCrtenberg_u.html?id=3GxHAAAAYAAJ&redir_esc=y
Google-Books stellt dankenswerter Weise die älteste verfügbare Gesamtübersicht zur Verfügung.
C. F. Sattler, 1772 :
Geschichte des herzogthums Würtenberg unter der regierung der herzogen, Bände 5-6, Seite 255

 

(4)

Wikipedia: Siehe Blutregenalge

 

(5)

https://www.uni-due.de/imperia/md/content/inkur/nr_magazin_22_2016_01.pdf

 

 

(6)

https://regionalia.blb-karlsruhe.de/files/38/BLB_Hegeler_Praetorius.pdf

 

Dieter Kasang

https://bildungsserver.hamburg.de/themenschwerpunkte/klimawandel-und-klimafolgen/klimawandel/kleine-eiszeit-746676

 

(7)

/https://www.historicum.net/fileadmin/sxw/Themen/Hexenforschung/Themen_Texte/Regional/Teufel_komplett.pdf

oder:

http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/thementexte/regionale-hexenverfolgung/art/Der_Teufel_von/html/ca/49001e0343/

 

 

 

 

 

Bilder:

Bild_2_links: Verbindung von Tod, Türkenkrieg und Komet, Wikipedia

Bild_3_rechts: Nürnberg, 1618, Wikipedia

Bild_4_rechts: Heidelberg, 1618, Wikipedia



 

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