Jacob Rathgeb (ca. 1561 –
1621) ist der Kammersekretär des Herzog Friedrich seit 1592 und
Burgvogt der Burg Graveneck, Teilnehmer
bei und
Berichterstatter über die sog. "Baden-Reise" des
Herzogs nach London, die vom 10.07. bis 20.10.1592 stattfand.
Die Begründung für die Namensgebung der Reise liefert der
Herausgeber und Besitzer der Druckerei
"Erhardo Cellio" selbst, der in
Wirklichkeit "Erhard Cellius" heißt und Tübinger Professor für
"Poetik" ist.
Die
"Englische Raiß" wird von ihm „Badenfahrt“ (1)
genannt, weil der Fürst eine Nacht lang „baden
gegangen“ ist. Das soll verdeutlichen, dass der Herzog auf
der Heimreise bei der Überquerung des Ärmelkanals bis zum Gürtel
im Wasser stand und die Besatzung schon an ihr Ende glaubte.
Dieser
Hinweis schon zu Beginn des Textes soll natürlich auch die
Neugierde des Lesers anstacheln.
Die Reisegruppe bestand
aus folgenden Personen:
1.
Herzog Friedrich (1592: noch "Graf")
2. Hofmeister: Hans Georg von
Brünickhofen
(geht am
14.07. zurück)
3.
Licentiat
Rat: Johann Docurt (geht am 14.07. zurück)
4.
Kammerjunker: Franz Ludwig Zorn von Bulach
5. Hans
Jacob von Mülnheim
6. Capitaine Saige
7.
Medicus:
Doctor Johann Bouhin (geht am 20.07. zurück)
8.
Kammersekretär: Jacob
Rhatgeb
9. Hofbalbierer: Hans Jacob Balmar
10.
Kammerjunge: Alexander Schifer
11. Sattelknecht: Gerson
Metzger
12. Einspenninger: Rustin Comte
13.
Schneider: Johann Charmont
14. Willermin
15.
Willermins Vetter (bis zum 20.07. nicht erwähnter Hans Phlip
von Lamersheim verlässt die Gruppe.)
16. Peter Meng – (Blasy) Lagkhey
(geht am 20.07. zurück)
17. Hans Christoph Trucksäß aus
Rheinfelden (schließt sich am 13.07. der Gruppe an - bekommt
in Peterstal Fieber und verläßt die Gruppe wieder am 20.07.)
Ab dem 20.07.
(Zwischenaufenthalt in Peterstal) gehören der Gruppe also 12
Personen an.
Der Reiseweg - Hinreise
Ich
habe den Reiseweg nach den geschilderten Zwischenstationen
markiert um einige Besonderheiten und Fragestellungen zu
verdeutlichen. Wie im Reisebericht später deutlich wird, kennt
Friedrich die kürzeste Verbindung über Calais und Dover. Warum
reist er also nicht durch Frankreich? Hätte er dort etwas zu
befürchten gehabt? Sicher nicht, denn er war ja mit dem
französischen König Heinrich IV. (von Navarra) befreundet und
dessen Unterstützer und hätte sicherlich auch dessen Hilfe in
Anspruch nehmen können.
Was hat Friedrich bewogen, den langen
Weg durch Deutschland zu wählen?
Es gibt nur den einen
vernünftigen Grund:
Er wollte sich mit Landgraf Wilhelm IV.
von Hessen (1532-1592) treffen. Dieser war bei den Verhandlungen
mit den Hugenotten und auf der Konferenz zu Stuttgart mit dem
Herzoge Christoph von Württemberg (1565) der Vertreter seines
Vaters Philipp's gewesen. Bei diesem Aufenthalt hatte er das
Jawort von Prinzessin Sabine, Tochter des Herzogs Christoph und
der Anna Maria von Brandenburg-Ansbach erhalten, war also nun
ein "Verwandter" von Friedrich und ein wichtiger Ratgeber im
Bunde der lutherischen Fürsten geworden. Auch er betrieb die
Annäherung der deutschen Fürsten an Frankreich und strebte ein
Bündniss mit Heinrich von Navarra und Elisabeth von England an.
Zu einer Zeit, da ganz Deutschland unter dem Übel der
Münzverfälschung (Kipper- und Wipperzeit) litt, trug
Wilhelm auf dem Reichstag zu Worms (1582) zur Verbesserung des
Münzwesens bei und sorgte für Ausprägung und Umlauf
"vollwichtigen" Geldes in seinem Lande.
(2)
Friedrich brauchte von ihm die
"Eintrittskarte" für den Hof von Elisabeth, wie
hätte er sich ihr sonst nähern können?
"Ihre Königliche
Hoheit, ich bin
Friedrich von Württemberg und möchte Ihr Ritter werden"? Welchen
politischen Bezug hätte er als Grund für seinen Besuch angeben
können?
Die
richtige Empfehlung erhielt
Friedrich in Form eines "Lateinisch Schreiben" an die
Königin, das Wilhelm (schon schwer erkrankt und am 25. 08. 1592
gestorben) für Friedrich verfasste.
(1)
Erstes großes Etappenziel war also Kassel gewesen. Ohne
große nennenswerte Zwischenfälle hatte Friedrich Kassel am
28.07. auf folgendem Weg ereicht:
10. 07. Abreise Mömpelgard
16. 07. Oberkirch - Bad Peterstal - Badeaufenthalt bis 20.07.
21. 07. Ab Hügelsheim (Schiffskauf)
geht es auf dem Rhein weiter bis nach Mainz (24.07). Dort wird das
Schiff wieder verkauft!
25.07. Mit der
Kutsche führt die Fahrt nach Frankfurt, Giesen, Marburg, Fritzlar, Kassel
(28.07.)
Nach dem Treffen mit Wilhelm geht es auf
folgendem Weg weiter:
29.07. Hannn-
Münden an die Weser, mit demSchiff bis Minden (02.08.).
03.08. Kutsche nach
Bremen, dort wird kein Schiff gefunden.
04.08. Delmenhorst -
Richtung Emden. Hier kommt es zu einem nenneswerten Zwischenfall:
Im Ort "Olderson" (= Oldersum) warnt in einem Wirtshaus an
der Ems der Wirt die Reisegruppe vor Freibeutern. Diese würden
die Ems als schnellen Fluchtweg nutzen. Daraufhin bewaffnet sich
die Reisegruppe mit Gewehren ("Rohre" genannt). Die Gruppe wird
von dem Wirt verraten und zwischen 11 und 12 Uhr kommen
ungefähr 30 Mann mit entblößten Schwertern und „Rohren mit
aufgezogenen Hahnen" durch die "tännene" (hölzerne) Wand.
Friedrich,
Bulach, Schifer und der Balbier schlafen in einer Kammer mit
Gewehren, die anderen liegen in Winkeln. Der anführende
Hauptmann steigt mit Kerze und
gezogenem Säbel die Treppe zur Kammer hinauf. Friedrich hat den
Einbruch rechtzeitig gehört, "die Hosen hochgezogen" und alle
geweckt. Der Balbier macht vor Schreck die Tür auf. Friedrich
gelingt es den Hauptmann wieder die Treppe hinunter zu stoßen
ohne verletzt zu werden. Er schreit den Balbier an, er solle die
Tür zuhalten, die dann mit allem, was zur Verfügung steht,
verrammelt wird. Die Gewehre werden gespannt. Es folgt eine
stundenlange Verhandlung, beide Seiten bedrohen sich gegenseitig
mit ihren Gewehren. Die Eindringlinge geben vor, sie seien Stade
zugehörig und sie hätten gehört, die Reisenden seien Spanier.
Friedrichs Antwort lautet:
"Wir gehören zum Römischen Kaiser".
Daraufhin wollen die "Soldaten" einen Passport sehen. Willemsen
erinnert an das Schreiben von Kurfürst Wilhelm an Elisabeth, Friedrich
will es aber nicht aus der Hand geben. Er befürchtet dessen
Verlust. Nach zwei Stunden Verhandlung überreicht er dann doch
das versiegelte Schreiben. Der "Hauptmann" zeigt sich schon beim
Anblick des Siegels zufrieden, bekommt dann Getränke spendiert,
zum Schluss zieht die Gruppe mehr oder weniger betrunken wieder
ab. Die Morgen ist inzwischen angebrochen.
06. 08. Emden
- ein Schiff nach Dover wird gesucht und gefunden.
07. 08.
Abfahrt - allen wird übel, müssen sich erbrechen.
08. 08.
Stürmische Überfahrt, selbst Pferde stürzen in ihren Verschlägen
übereinander.
09. 08. Ankunft, die Kreidefelsen werden beschrieben.
10. 08. Mit Postkutsche geht es nach Grauesinde, die Themse wird
erreicht, am Abend ist man in London.
11. 08. Der französische Botschafter "De
Beannois La Nocle" wird in seiner Wohnung aufgesucht.
Dieser zeigt
sich äußerst überrascht über den Besuch, beherrbergt die Gruppe bis
zum 14.08.
In dieser Zeit werden London und seine Sehenswürdigketen besichtigt. Friedrich
wartete auf einen Termin für eine Audienz. Elisabeth ist auf
einem Hoflager in Reiding. Dort wird sie vom französischen
Botschafter von Friedrichs Ankunft unterrichtet. Sie sendet
einen Hofjunker mit Kutsche um ihn abzuholen.
17. 08. Graf
von Essex, Rat und Stallmeister lädt zum Essen mit Musik, danach
werden sie zur Königin geführt. Vorher kleidet der Herzog seine
Truppe mit schwarzem Samt ein! Er hat ja seinen Schneider dabei! Anwesend sind Räte und
Botschafter, sie wurden nach „vorne geschoben um besser sehen
zu können". (Vor allem kann die Königin sie so besser begutachten!)
18. 08. Endlich bekommt Friedrich seine
"persönliche" Audienz. Das Gespräch wird auf Französisch
geführt, der franz. Botschafter ist dabei. Nach längerem
Gespräch folgt ein Bankett beim Botschafter.
19. 08.
Elisabeth reist von Reiding ab, Friedrich fährt nach Windsor. Ab
jetzt wartet er auf einen "Bescheid" von Elisabeth und verbringt
die Zeit mit Besichtigungen von Bauten, Hochschulen, die
ausführlich beschrieben werden, von Canterbury und mit mehreren Jagden.
Worauf hat er zu diesem Zeitpunkt gehofft? Welche Gründe oder
"Verdienste" hatte
er denn für die
Aufnahme als Ritter des Hosenbandordens bisher
vorweisen können?
28. 08. Friedrich fragt beim Vizekanzler
nach, dem die
Königin ihr Schreiben senden wollte. Der zeigt Bedauern und lädt
zu weiteren Besichtigungen ein.
29. 08. Der Vizekanzler
entschuldigt sich wegen zu vieler Arbeit.
30. 08. Friedrich
reist nach London. Weitere Besichtigungen.
02. 09.
Einladung vom französischen Botschafter.
03. 09. Friedrichs Gefolge wird
zu einem Schiff vorausgeschickt, sie sollen in Hamburg auf Friedrich
warten.
04. 09. Nur ein "Pass-Brief" der Königin
für den "Grafen Friedrich" zu einer unterstützten Heimreise ist
angekommen. Friedrich bereitet die Abreise vor. Capitani Saige muss
krank zurückbleiben.
05.09. Schiff "Sambson" setzt Segel.
Abends bei Flut kommen sie auf die offene See. Sturm
kommt auf, der Kapitän hat "solchen noch nie erlebt", auf dem
Schiff sind keine Tätigkeiten mehr möglich, sie können sich
nicht mehr auf den Beinen halten. Wasser schlägt ins Schiff, die
Reisenden stehen bis zum Gürtel im Wasser, der Kompass fällt
aus.
Sie befürchten auf Fels geworfen zu werden. Geschütze und
Waren gehen über Bord. Der Kapitän befürchtet das Schlimmste,
alle sehen dem möglichen Tod ins Auge. Die Not lehrt Beten und
viele, auch Männer, weinen. Friedrich spricht der Besatzung Mut
zu, "das Beten würde Gott veranlassen sie nicht verderben zu
lassen". Der Sturm hält die ganze Nacht an. Gegen 9 oder 10 Uhr
wird Land gesichtet, Flandern erkannt, daran vorbei gefahren und
in den Seeländischen Kanal eingefahren. An Vlissingen vorbei
wird bei der Festung Ramecken (engl. Besitz) angelandet. Sie
müssen sich beim Festungskommandanten ausweisen und fallen an
Land aus Dankbarkeit auf die Knie und danken Gott für den
glücklichen Ausgang.
Laut dieser Quelle
(5)
habe der Herzog im
Sturm das Gelübde geleistet bei Rettung eine Kirche zu bauen, was
mit dem Bau der Stadtkirche in Freudenstadt erfüllt wurde.
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06. 09 Mittelburg
07. 09. Mit
dem Wagen nach Vlissingen
Ab sofort geht es über Amsterdam
auf der blau markierten Route bis zur letzten Schifffahrt nach
Emden, wo sie am 22.09. ankommen. Dabei litten sie ein zweites Mal
unter zu stürmischer See.
Am 16.09. sind sie in Enkhusen
und besichtigen
die "Wunderkammer von Medicus Bernhardus Palludanus", die ausführlich
im Reisebericht beschrieben wird.
Der Heimweg von Emden aus führt
wieder über Kassel und Frankfurt und beinhaltet nichts
Bemerkenswertes.
Am 20.10. 1592 erreichen sie Mömpelgard.
An dieser
Stelle muss man sich fragen, warum Friedrich nach London gereist
ist.
Diplomatisch hat er nichts bewirkt, zum Ritter des
Hosenbandordens wurde er auch nicht ernannt. Er konnte nicht einmal
sicher sein später berücksichtigt zu werden.
Aber er hat
einiges außerhalb der Welt von Württemberg und Mömpelgard in sich
aufgenommen und mit Sicherheit erkannt, dass es noch vieler Schritte
bedarf, um seinem (zukünftigen) Fürstemtum den Glanz zu verleihen, den er bei der
Königin am Hofe vorgefunden hat.
Seine weiteren Bemühungen
zur Erlangung des Hosenbandordens übertrug er ab sofort an seine
diplomatische Delegationen. Wahrscheinlich wollte er sich kein
zweites Mal in die demütigende Situation eines vergeblich
"Wartenden" begeben. Hatte die Königin ihm doch durch ihr Verhalten
zu verstehen gegeben, dass sie keine dringliche Notwendigkeit
erkannt hatte, Friedrich in ihrem Ordensbund aufzunehmen.
Er erhielt seinen Orden erst
nach 11 Jahren, im Jahr 1603, da war Elisabeth schon gestorben.
Immerhin erhielt er aber schon 1597 die Zusage, dass er dazu gehören
werde.
Allerdings ließ er sich schon 1593 und 1602 mit den Ordenszeichen abbilden und Münzen prägen.
Zu einer abschließenden Bewertung gehören auch folgende
Bemerkungen:
1. Der Reiseverlauf belegt eine große
persönliche Risikobereitschaft der Teilnehmer und ganz besonders von
Herzog Friedrich.
2. Spekulativ bleiben die Überlegungen, wie
sich die Finanzierung der Reise gestaltet hat.
Hat Friedrich
Bargeld mit sich geführt? Das müsste dann eine auffallend große
Summe (mit viel Gewicht) gewesen sein.
Oder hatte er unterwegs
Möglichkeiten, sich monitär neu zu versorgen? Das wäre dann am
ehesten in Frankfurt, Kassel, Bremen und Amsterdam möglich gewesen.
Wir haben dazu keine Hinweise im Reisebericht. Aber auch im
Zusammenhang mit dieser Fragestellung zeigt sich der große
"Unternehmergeist" des Reiseherrn.
Wie vorausschauend der Herzog die
Reise geplant hatte, beweist der Umstand, dass sein Schneider dabei
war. Hatte er von Anfang an geplant, vor Elisabeth in schwarzem Samt
aufzutreten?
Wenn man bedenkt, dass die Ritter des
Hosenbandordens traditionell
schwarzen Samt tragen, muss Königin Elisabeth das Auftreten von
Friedrich in schwarzem Samt als plumpen Affront empfunden haben.
Friedrich, der sich 1592 noch nicht einmal Herzog nennen konnte, hat
versucht, ein sehr dreistes Signal zu senden!
Quellen:
1.
Rathgeb, Jakob; Schickhardt, Heinrich; Cellius, Erhard;
Mästlin, Michael; Ditzinger, Ludwig; Paludanus, Bernard;
Ditzinger, Ludwig; Mästlin, Michael; Paludanus, Bernard;
Friedrich Warhaffte Beschreibung Zweyer Raisen Tübingen In der
Cellischen Truckerey 1603
Link:
https://doi.org/10.11588/diglit.55365
2.
Ribbeck, Walther, "Wilhelm IV." in:
Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 32-39
[Online-Version]
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118632922.html#adbcontent
3.
Karte von 1579 bei Wikipedia
4.
Bild: Gemeinfrei -
Vroom_Hendrick_Cornelisz_A_Dutch_Ship_and_Fishing_Boat_in_a_Fresh_Breeze
Wikipedia
5.
https://www.google.de/books/edition/W%C3%BCrttembergische_Kirchengeschichte/8WZ0l1CFMz8C?hl=de&gbpv=1&dq=W%C3%BCrttembergische+Kirchengeschichte&printsec=frontcover
Württembergische Kirchengeschichte.
Herausgegeben vom Calwer Verlagsverein.
Calw & Stuttgart. Verlag der
Vereinsbuchhandlung. 1893.
Seite: 417
Letzte Änderung: 08.04.2025

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